Die Sehnsucht der Seele

Die Sehnsucht der Seele

Bevor Christine Wallner ihrem inneren Ruf folgen konnte, eine KRANKENSTATION IN TANSANIA zu gründen, musste sie erst am eigenen Leib erfahren, wie wichtig es ist, sich zunächst selbst zu heilen, um andere heilen zu können.

Wie fühlt es sich an, wenn wir unsere wahre Bestimmung erkennen? Wo sind sie, die Orte, die uns zuflüstern, was unsere wirkliche Berufung ist? Und was verleiht uns letztendlich den Mut und die Stärke, den Weisungen der eigenen Seele zu folgen, die wir seit Jahren unabsichtlich oder vielleicht sogar absichtlich ignoriert haben?

Für die österreichische Ärztin Christine Wallner war es 2007 die Begegnung mit einem uralten Maulbeerfeigenbaum, dessen ausladende Äste den Menschen nahe des Dörfchens Momella mitten in Tansania seit Jahrhunderten Schatten und Trost spenden. Es ist das heilige Land der Maasai, jenem stolzen Volk, das hier inmitten der hügeligen Steppe nach wie vor nahezu unbehelligt von den sogenannten modernen Fortschrittlichkeiten am Fuße des schneebedeckten Gipfel des Kilimandscharo lebt. Sie teilen sich das Gebiet mit den Meru, ein Stamm mit Regeln und Lebensweisen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und dessen Unstimmigkeiten immer wieder für kleinere, aber auch mitunter handfeste Konflikte sorgen. Obwohl sie damals davon kaum wusste, war ihr erster Gedanke: „Hier bin ich richtig, hier gehöre ich hin“. Dann erinnerte sie sich wieder daran, wie sie als 9-jähriges Mädchen bereits den Ruf vernahm: „Geh‘ nach Afrika!“

Bis sie tatsächlich ging, sollten noch mehr als 50 Jahre verstreichen. Doch schließlich war sie am Ende ihrer langen Suche angelangt. Und so begann die Geschichte der weißen Heilerin und damit die Geschichte von „Afrika Amini Alama“.

„Ich glaube, dass ich so etwas wie einen karmischen Auftrag habe, vielleicht aus einem vorigem Leben“, erzählt Christine Wallner. So oft es geht, setzt sie sich zur Mittagspause unter den Maulbeerbaum, ihrem Kraftort, der heute mehr denn je von Leben und vor allem Hoffnung erfüllt ist.

„Mama Alama, weise Großmutter“ sagen die Einheimischen liebevoll zu ihr. Mit den kurzen, hellblonden Haaren sticht sie natürlich heraus und ihre blitzblauen, hellwachen Augen strahlen tatsächlich so etwas wie eine uralte, weibliche Weisheit aus.

Was vor wenigen Jahren mit einer kleinen Krankenstation begann, ist zu etwas gewachsen, das seitdem einen ganzen Landstrich veränderte. „Africa Amini Alama“ taufte sie ihr Projekt, das so viel wie „Ich glaube an Afrika“ bedeutet. Neben den 20.000 Menschen, die hier Jahr für Jahr medizinisch behandelt werden, sind rund um den großen Baum ein Waisenhaus, Schulen, Werkstätten und eine Schneiderei entstanden. Hier finden vor allem auch Frauen eine Perspektive, die vor Gewalt geflüchtet, alleinerziehend sind oder aus anderen Gründen nicht mehr weiter wissen. Seien es Fragen um Schwangerschaft und Verhütung, der Wunsch einmal über die eigenen Sorgen und Nöte zu sprechen oder einfach nur eine warme Mahlzeit – jede und jeder ist hier jederzeit willkommen.

Doch zurück zum Anfang von Christine Wallners Geschichte. Denn zunächst war sie es, die dringend Heilung brauchte. Seit ihrer Jugend litt sie unter Entstellungen in ihrem Gesicht. Lupus lautete die Diagnose, Contergan die Therapie. Gezeichnet von tiefen Narben wagte sich die junge Frau kaum an die Öffentlichkeit. „Ich wollte eine Prinzessin sein, doch fühlte ich mich wie Aschenputtel. Jahrelang lebte ich in der Hoffnung, eines Tages schön und stark zu werden“, erinnert sie sich in ihrer 2014 erschienenen Biografie „Mama Alama – Die weiße Heilerin“. Sie erzählt, wie sie mit Anfang zwanzig in die Ehe floh. Wie sie ganz bewusst einen Partner wählte, den sie zwar schätzte, aber nicht liebte. Kaum verheiratet stieg ihr Mann wenig später zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten der Wiener High Society auf. Leo Wallner hieß er. Als Generaldirektor der Casinos Austria AG und schließlich Präsident des Österreichischen Olympischen Comités reihte sich ein gesellschaftlicher Anlass an den nächsten.

Nach Außen spielte Christine Wallner auf den Empfängen und Partys – unter anderem ein Dinner im Palast bei Grace Kelly und Fürst Rainier in Monaco – mithilfe von viel Schminke und Medikamenten die von ihr erwartete Rolle. Innerlich fragte sie sich: „Was mache ich hier eigentlich?“ Die große Villa mit Pool und Garten sowie einige Affären hielten sie jahrelang davon ab, nach der Antwort zu suchen. Gedanken an Selbstmord betäubte sie mit Valium. Den Kindern zuliebe. Doch immer wieder drängte sich der Ruf Afrikas in ihr Bewusstsein.

Mit 38 Jahren stand sie schließlich vor der Wahl: An gebrochenem Herzen zugrunde gehen oder nochmal ganz neu anfangen. Nein, nicht aufgeben! Heimlich schrieb sie sich an der medizinischen Fakultät in Wien ein, schloss das Studium mit Auszeichnung ab. Auf ihrer Promotionsfeier spürte sie seit langem wieder so etwas wie echtes Glück. „Plötzlich erkannte ich, dass jedes Leben lebenswert ist und dass es als Ärztin meine Aufgabe ist, es zu erhalten.“ Zunächst eine Anstellung in einem Krankenhaus, dann die erste eigene Praxis. Je besser sie sich fühlte, desto gesünder wurde ihre Haut. „Ich schaute in den Spiegel und fand mich erstmals attraktiv“, lacht sie. Christine Wallner erkannte, dass es endlich höchste Zeit ist, sich dieser tief sitzenden Sehnsucht zu widmen, die niemals aufgehört hat, in ihr zu verstummen.

Christine Wallner und das Hilfsprojekt „Africa Amini Alama“

Für ihre Suche bereiste sie die ganze Welt: Asien, Indien, Peru, Tibet. Sie erklomm heilige Berge, durchstreifte Urwälder, sprach mit weisen Gurus und erforschte gemeinsam mit ihrer Tochter Cornelia, die ebenfalls Ärztin geworden ist, altes Heilwissen vieler Urvölker. Schließlich kam sie mit einem Koffer voll Medikamente nach Tansania, entdeckte jenen kraftvollen Maulbeerfeigenbaum und erkannte: Hier gehöre ich hin! „Ich wusste nur, dass ich helfen möchte“, erinnert sich Christine Wallner.

Medizinische Versorgung wurde damals mehr als nötig gebraucht, im Umkreis von 70 Kilometern gab es keine Krankenstation. Während Touristen unweit von Momella durch das wild-romantische Safari-Karussell rauschten, herrschte bei den Einheimischen nach wie vor bittere Armut. Und so sagte sie der Wiener Society Lebewohl, reichte die Scheidung ein, verkaufte die Villa und erbaute vom ersten Erlös das Projekt. Schnell sprach sich rum, dass es im Dorf eine Ärztin geben soll, eine weiße Frau, die gesundmachen kann. Christine Wallner konnte kaum ihren Koffer auspacken, schon standen die Menschen in großer Zahl vor ihrer kleinen Station, allesamt mit der Hoffnung, von ihren Leiden befreit zu werden.

Christine Wallner und das Hilfsprojekt „Africa Amini Alama“

Trotz tiefsitzender patriarchalischer Strukturen, Korruption und Behörden, die ihr immer wieder Steine in den Weg legten, schaffte sie mit der Hilfe ihrer Tochter und zahlreichen Unterstützern das Projekt immer weiter wachsen zu lassen. Weil sie ihre Aufgabe mit Liebe und Hingabe anging und bis heute selbst auf so manch europäische Annehmlichkeiten verzichtet, wird sie von den Einheimischen respektiert und geachtet. Unter anderem, weil die beiden Ärztinnen nicht nur mit westlichem, schulmedizinischem Wissen arbeiten, sondern auch das uralte Heilwissen der Bewohner zu schätzen wissen, daran forschen und natürlich auch damit arbeiten. Die Maasai schenkten Christine Wallner schließlich aus Dankbarkeit darüber, dass sie viele ihrer Kinder gesund auf die Welt gebracht oder ihnen gar das Leben gerettet hat, ein Stück ihres heiligen Landes, wo seit zwei Jahren eine traumhaft schöne Lodge steht, die Gäste aus aller Welt empfängt.

Heute ist Christine Wallner 72 Jahre alt, doch ans Aufhören denkt sie noch lange nicht. Da mittlerweile Tochter Cornelia die medizinische Leitung der Krankenstation übernommen hat, widmet sie sich inzwischen voll und ganz der Seelen-Arbeit. „Wir brauchen alle Heilung“, sagt sie, während sie wieder unter ihrem Kraftbaum sitzt und an der Kaffeetasse nippt. „Die Menschen hier müssen lernen, auf ihre Gefühle zu hören, besser auf ihren Körper zu achten und erkennen, dass Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen eine Gesellschaft stark macht. Wir müssen dagegen wieder lernen, mit der Natur im Einklang zu leben, Verbindung mit unserem Ursprung aufzunehmen und die wirklich wahren Bedürfnisse der Seele zu erkennen.“ Für Christine Wallner ist es nun an der Zeit als psychologische Therapeutin genau dort zu helfen, wo Medikamente nichts ausrichten können.

Tansania ist ein Land voller Kraftorte, welche ihr einst den Weg zu ihrer persönlichen Berufung gezeigt haben. Kommen Europäer nach Momella, bekommen sie diese heilende Energie schnell zu spüren. Für ihre Gäste stehen liebevoll eingerichtete Unterkünfte bereit, von luxuriös bis ganz einfach, dessen Erlöse direkt wieder in das Projekt fließen. „Für manche ist das solch ein tiefgreifendes Erlebnis, dass sie schon bei ihrer Ankunft weinen müssen, weil sich plötzlich irgendetwas in ihnen löst. Manchmal braucht es einen besonderen Platz, um neue Kraft zu tanken, alte Muster zu zertrümmern, um schließlich aus den Scherben etwas Neues zu erschaffen“, sagt sie in einer Weise, die einen sofort vermuten lässt, dass sie genau weiß, wovon sie spricht. Auch ohne ihre Vergangenheit genau zu kennen. Christine Wallner glaubt fest daran, dass wir nicht nur ein Leben haben, sondern viele, von denen uns jedes einzelne die Chance gibt, die Sehnsucht unserer Seele zu folgen. Ganz gleich, wie alt wir sind. So braucht es mitunter seine Zeit, zu erkennen, dass man sich zunächst selbst heilen muss, um andere heilen zu können. Ihre Geschichte macht nicht nur die Welt ein Stückchen besser, sondern zeigt zudem, dass es auch mit über 60 Jahren nicht zu spät ist, dem Ruf des Herzes zu folgen.

Christine Wallner und das Hilfsprojekt „Africa Amini Alama“

Das Hilfsprojekt „Africa Amini Alama“ bietet professionelle Retreats an, die speziell für Gäste aus Industrieländern zugeschnitten sind. Mit den Einnahmen wird nicht nur die Krankenstation, sondern auch Schulen, Ausbildungswerkstätten und ein Waisenhaus finanziert. Dr. Christine Wallner hat über ihren Lebensweg und ihre Arbeit in Tansania eine bewegende Biografie geschrieben. Mama Alama: Die weiße Heilerin. Ich habe mein Leben in Afrika gefunden. ISBN: 978328005539.

Infos und Buchung unter africaaminilife.com/de/ heilung-erholung/

(photos Africa Amini Alama, Sarah Staiger)