Singles in Berlin

Singles in Berlin

Schauen wir uns mal in einem typischen Berliner Frühstückscafé sonntagsmorgens um: An überladenen Tafeln wild durcheinander quasselnde Großfamilien. Daneben karge Zweiertische, von nur einem Gast besetzt. Und der versteckt sich meist hinter seiner Zeitung, um bloß nicht aufsehen zu müssen und womöglich ein anderes, einsames Augenpaar zu treffen. Wir Deutschen sind nicht gerade als Weltmeister im Flirten bekannt. Und erst recht ist Berlin keine Stadt, die es Anschluss-Suchenden leicht macht. „Hier schaut man eher weg als hin, wenn einem jemand gefällt“, erklärt Miriam (34), die lange Zeit als Barfrau gearbeitet hat und das Balzgebaren der Hauptstädter ausführlich beobachten konnte. Aus Erfahrung weiß sie: „Aufgesetzte Coolness wird hier oft leider viel wichtiger genommen als Herzlichkeit.“

Singles in Berlin

Große Frau, was nun?! Ganz allein in dieser riesigen Stadt, dem Disco-Modus längst entwachsen und keinerlei Ambitionen, sich als Restware auf „Fisch sucht Fahrrad“, „Topf sucht Deckel“ oder anderen „Ü-Sonstwas“-Partys anzubiedern? Es muss doch noch andere Wege geben, um einen Mann zu finden, der es nicht bloß auf schnellen Sex und/oder auf jüngere Geschlechtsgenossinnen abgesehen hat.

Aber mit den Jahren wird die Auswahl nicht gerade größer. Die meisten Kandidaten sind vergeben oder frisch geschiedene Beziehungskrüppel. Hinzu kommt das ständig steigende Anspruchspotential.

„Frauen suchen, was Bildung und Beruf angeht, nicht gern unter ihrem eigenen Niveau, da wird vor allem bei Akademikerinnen die Luft schnell dünn“,

weiß Eric Hegmann, Autor des vielsagenden Buches „Die Traumprinz-Falle“. Attraktiv soll er sein, humorvoll, treu, und am besten noch finanziell unabhängig. Ein Mann auf Augenhöhe eben. Zugegeben, das klingt nach einem prall gefüllten Wunschpaket.

Vielleicht sind ja Online-Partner-Agenturen, die zur Zeit wie Pilze aus dem Boden schießen, der Schlüssel zum Glück? Nicht Jedermanns Geschmack, aber für berufstätige Frauen in der Mitte ihrer Dreißiger eine ernst zu nehmende Option, wenn die große Liebe im realen Leben einfach nicht auftauchen will.

Die Liste der Online-Partnerbörsen ist lang: Parship, Friend- scout24, ElitePartner – sie alle sind voll von paarungswütigen Frauen und Männern. Doch in Singlekreisen wird derzeit vor allem die mobile Dating-App „Tinder“ (zu deutsch: Zünder) als besonders erfolgversprechend gehypt. Sie macht das virtuelle Kennenlernen zu jeder Zeit und an jedem Ort so einfach wie kein Anbieter zuvor. Rund zwei Millionen Menschen in Deutschland sind bereits von der „Tinderitis“ betroffen, weltweit kommen täglich 20.000 weitere hinzu.

Das Prinzip ist denkbar simpel: Jeder, der im Besitz eines Facebook-Profils ist, kann sich anmelden, bis zu fünf Fotos und eine Kurzbeschreibung von sich hochladen. Dann wird entschieden, ob man Weibchen oder Männchen sucht, in welcher Altersklasse und in welchem Umkreis von zwei bis 160 Kilometern. Schon wenige Minuten später antwortet „Tinder“ (monatliche Kosten für Mitglieder ab 28 Jahren: 14,99 €) mit einer Fotoauswahl potentieller Kandidaten. Gefällt eine der angezeigten Personen, wischt („swipt“) man mit dem Daumen nach rechts, wenn nicht, wischt man nach links. Springt bei beiden Usern der erste Funke über, wird ihnen das durch den Hinweis “It ́s a match“ angezeigt und es kann los gechattet werden. So sehr die 2012 in den USA entwickelte App den virtuellen Flirt vereinfacht, so sehr polarisiert sie auch.

Singles in Berlin

„Bei Tinder geht’s doch nur um unverbindlichen Sex“, argwöhnen Enttäuschte, die doch eigentlich Romantik suchen. Natürlich kommt es vor, dass ein „match“ ohne Umschweife zur schnellen Nummer zwischendurch führt. Aber dazu gehören immer Zwei. Dass auch Frauen am Sexing statt Dating ihren Spaß haben, zeigt eine „Tinder“-Studie der Fresenius-Akademie: „Mit einer beachtlichen Erfolgsquote von 157 Prozent scheinen Frauen hier ihre Erwartungen an sexuellen Kontakte übererfüllen zu können.“ Zugegeben: Für Trophäenjägerinnen eine beachtliche Größenordnung!

Aber wie stehen die Aussichten, die große Liebe zu finden? 

Laut Fresenius haben 39 Prozent der befragten Frauen über Tinder bereits eine feste Beziehung gefunden. Eine überraschend hohe Erfolgsquote, die sogar den klassischen Dating-Portalen den Rang abläuft. Wenn da nicht jede Single-Frau hellhörig wird. Doch „Vorsicht“, warnen eingefleischte „Tinder“-Profis: „Die Gespräche im Chat versiegen oft allzu schnell.“ Also: Nicht lange fackeln und schnell verabreden, wenn es zündet.

Singles in Berlin
Singles in Berlin

Ganz ähnlich wie „Tinder“, nur mit noch weiteren Live-Chat-Spielereien ausgestattet, funktioniert „KissNoFrog“ (kissnofrog.de) mit monatlich 25 000 neuen Mitgliedern. Besonders bemerkenswert an dem Live-Dating-Portal ist ein relativ hoher Männeranteil von über 70 Prozent. Das heißt: Frauen haben hier leichtes Spiel. Die Preise variieren je nach Abo-Dauer. Drei Monate Mitgliedschaft etwa kosten 69 €.

Dass man online die große Liebe finden kann, glauben auch Annelie Kralisch und Juliane Müller aus Berlin. Die beiden Frauen, die eigentlich als Fotografin und DJane arbeiten, gründeten die Singlebörse „Im Gegenteil“ (imgegenteil.de) und stellen damit die im Single-Markt üblichen Werte, wie Diskretion und Anonymität, gründlich auf den Kopf. Plakativ und für jeden zugänglich präsentieren sie ihre Partnersuchenden. Peinlich sollte den Großstädtern die öffentliche Partnersuche also auf keinen Fall sein. Jeder von ihnen wird persönlich besucht, ausführlich über sich und seine Vorlieben interviewt und in seinem Wohnumfeld fotografiert. Auf der Webseite der beiden um die 30-jährigen Frauen liest sich das so:

„Wir kommen zum verabredeten Termin zu dir nach Hause, trinken Kaffee, Tee oder Whiskey Cola. Anni fragt dich aus und Jule knipst nebenbei ganz unauffällig.“

Was dabei herauskommt, sind keine per Photoshop aufgehübschten Hochglanzmotive. Das Ganze wirkt eher wie eine Reality-Homestory, durch die Interessierte sich durchscrollen können. Da ist zum Beispiel der 41-jährige Daniel, der aus der Nähe von Braunschweig nach Berlin Pankow kam. Auf einem Foto sieht man den Blondschopf mit Käppi lässig am alten Holztisch lehnen, auf einem weiteren macht er Faxen auf dem Balkon und zwischen noch weiteren sehr privaten Fotos erfährt man in lebendig geschriebenen Textabschnitten, dass er auf Guns N’ Roses ebenso steht wie auf Barbara Streisand, dass er nach Abhängerjahren in Clubs in Leipzig Kunst studiert hat und sein Lieblingswein Barolo ist. Wer ihn kennenlernen möchte, schickt ihm einfach eine E-Mail, über ein vorgefertigtes Formular.

Daniel ist einer von inzwischen fast 1000 Berliner Singles, die sich von Annelie und Juliane vermitteln lassen möchten. Das weltweit bisher einzigartige Konzept scheint aufzugehen. Die beiden selbsternannten „Hobbypsychologinnen mit Hang zum Verkuppeln“ können sich vor Anfragen kaum retten. Inzwischen bieten sie ihre Dienste auch in anderen deutschen Städten an. Anders als andere bekannte Singlebörsen ist „Im Gegenteil“ frei zugänglich, eine Registrierung nicht notwendig und sogar kostenfrei. Trotz der erst kurzen Existenz sind schon rund 25 Prozent der Singles vergeben. Wie lange deren Glück halten wird, können natürlich auch Annelie und Juliane nicht voraussagen.

Speziell an einsame Hauptstadtherzen wendet sich seit 2009 der Online-Service berliner- singles.de. Unter dem Motto „online treffen – offline kennenlernen“ lebt das Portal vom kreativen Input der inzwischen mehr als 50.000 Mitglieder.

Jeder von ihnen kann die Initiative ergreifen und der Community Freizeitaktivitäten vorschlagen. Im Eventkalender findet man immer die aktuellsten Einträge. Da wird zum Bummel über den Winterfeldmarkt aufgefordert, zum wöchentlichen Afterwork-Bowlen, gemeinsamen Opernbesuchen oder zu einer Winterwanderung durch den Grunewald. Eine tolle Herausforderung für schüchterne Couch-Potatoes. Denn in einer großen Gruppe fällt das gegenseitige Beschnuppern doch viel leichter.

(photos credit: shutterstock, tanja nedwig)