Meditieren in der Mittagspause

Meditieren in der Mittagspause
Statt zum Lunch lieber in den Lotus? Wer seinen Geist beruhigen und den Stress des Alltags kurz hinter sich lassen möchte, kann sich zwischendurch in Meditation üben.
Text: Julia Siepmann

 

„Schön, dass ihr gekommen seid. Eine kleine Auszeit von der Hektik des Alltags wird euch guttun. Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, dass der Geist friedlich wird.“ Der kahlköpfige Mann, der diese Worte spricht, ist Gyudhzin Kelsang, ein junger Mönch, der hier im Kadampa-Zentrum in Berlin Mitte auf einem hölzernen Thron sitzt und eine Mittags-Mediation anleitet.

Mönch Gyudhzin Kelsang, aus dem Kadampa- Zentrum

„Euer Meditationsobjekt ist heute der Atem“, beginnt er, „konzentriert euch darauf, wie die Luft in euren Körper ein-und ausströmt, erspürt diesen besonderen Moment an eurer Nasenspitze.“

Ich fühle, während ich sachte durch die Nase ein und durch den Mund wieder ausatme, wie sich nach dem zehnten Atemzug langsam meine hochgezogenen Schultern etwas entspannen. Ich registriere das Heben und Senken der Bauchdecke und versuche, wie von Kelsang empfohlen, den Strom meiner Gedanken zu beobachten – um ihn dann einfach zur Seite zu schieben. Das ist gar nicht so einfach. Gerade, wenn man stark darauf achtet, an was man denkt, bemerkt man, was für eine unglaubliche Fülle an Gedanken gleichzeitig im eigenen Kopf herumtobt. Was muss ich heute alles noch erledigen?  Bloß nicht die Überweisung vergessen! Hätte man nicht doch, statt sich hier zu quälen, lieber ausgiebig zu Mittag gegessen?

Doch Ruhe jetzt! „Das größte Hindernis ist der Zweifel“, tönt es von vorne, „ihr müsst den eigenen Entschluss stärken, die Meditation auszuführen! Lasst euch nicht ablenken. Kehrt entschlossen, aber sanft zu eurem Atem zurück.“

Die hier gelehrte Atemmediation ist neben der Transzendentalen Meditation (bei der sich die Praktizierenden auf ein Mantra fokussieren) eine der bekanntesten aller Meditationstechniken. Bemerkenswert, dass diese Art der inneren Einkehr, wie wir sie gerade inmitten des hektischen Berlins üben, schon vor 5000 Jahren von den Menschen in ähnlicher Weise praktiziert wurde.

Obwohl die Wurzeln der Meditation wohl im Hinduismus liegen, ist sie heute noch ein wichtiger Bestandteil der meisten Religionen, besonders des Buddhismus. Sein bekanntester Vertreter ist neben dem Dalai Lama die historische Figur des Siddhartha Gautama, besser bekannt als Gautama Buddha, der auch als Begründer des Buddhismus gilt. Ursprünglich ein verwöhnter Prinz, der aus dem Palast seiner Eltern floh, um, anstatt materiellen Reichtum anzuhäufen, ein spirituell erfülltes Leben zu führen. Nach einigen Abenteuern erlangte er nach 49 Tagen in stiller Meditation unter einem Feigenbaum schließlich die Erleuchtung – und somit die Einsicht in die Ursache allen menschlichen Leidens: den herumirrenden, ruhelosen Geist. Die notwendigen Schlüsselbereiche der Meditation sind seitdem bis heute die Gleichen geblieben: Achtsamkeit, Einsicht, Konzentration und Ruhe. Und sie scheinen populärer denn je zu sein.

Wo früher eine Minderheit von Hippies, Esoterikern und Psychotherapeuten die Vorteile der Meditation nutzte, ist die Technik heute komplett in der westlichen Welt angekommen.

Kurse, Magazine, Workshops – auch Nicht-Buddhisten nutzen sie heute immer häufiger, um ihre geistige und körperliche Verfassung zu verbessern. Denn der gesundheitliche Nutzen ist mittlerweile wissenschaftlich nachgewiesen: Durch 40 Minuten Üben pro Tag nimmt das Volumen der Großhirnrinde messbar zu. Sie ist der Sitz von Gedächtnis und Verstand, dort werden Entscheidungen getroffen und die Gefühle gesteuert. Zusätzlich sollen sich durch regelmäßiges „Praktizieren“ die Gehirnwellen neu anordnen, was auf Dauer zu einer feineren Empfindsamkeit führt – und somit zu mehr Achtsamkeit im Leben.

Und gerade dieser Aspekt, die Fähigkeit, einen klaren Bewusstseinszustand herzustellen, der jede noch so klitzekleine Erfahrung im gegenwärtigen Moment vorurteilsfrei zulässt, wird in Zeiten der Reizüberflutung von Smartphone und Internet immer wichtiger.

Meditierende lernen, jeden einzelnen Gedanken zu beobachten und weiterziehen zu lassen, bevor er negative Gefühle erzeugen kann. Und das ist gar nicht so einfach.

Während Gyudhzin Kelsang uns mit ruhiger Stimme anweist, nun wirklich die Aufmerksamkeit nach innen zu lenken, fahren die Autos vor der großen Glasfront des Meditationszentrums geräuschvoll weiter, einer der Fahrer hat an der roten Ampel die Musik laut aufgedreht. Und die Frau, die in einiger Entfernung vor mir auf dem Kissen sitzt, trägt ganz schön dreckige Socken. Doch da passiert es wieder. Als hätte er meine Gedanken erraten, ertönt leise die Stimme Kelsangs: „Wir sollten prüfen, welche Geisteszustände wirklich störend sind und diese dann verringern. Vorschnelle Urteile sind nicht hilfreich. Wir werden nur dann glücklich, wenn unser Geist friedvoll ist. ”

Entspannt und friedlich – so fühle ich mich dann auch tatsächlich nach dieser halbstündigen Mittagssitzung. Im anschließenden Gespräch mit dem Mönch lerne ich, dass der größte Gegner der Meditation die Faulheit ist. Und dass kurzes, tägliches Sitzen besser ist als eine lange Session pro Woche. Verstanden, ich werde wiederkommen.

Beitragsbild: Fotocredit: Aleksandr Davydov©123RF.com

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