Odine Johne: Angst ist ein Trampolin

Odine Johne: Angst ist ein Trampolin

Die junge Schauspielerin Odine Johne sitzt in einem Eck Café in Kreuzkölln, die Wände und Möbel im Vintage-Look sind unfertig und schön, passend zu dem neuen Berlin, das sich Morgen schon verändert haben wird.

Odine Johne ist eine zarte Frau mit blauen Augen, die einen verträumt und zugleich ernst ansehen. Ihre langen blonden Haare glitzern in der frühlingshaften Nachmittagssonne. 2016 hat sie den „Max-Ophüls-Preis“ als beste Nachwuchsschauspielerin für ihre Rolle der Agnes in dem Liebesdrama und gleichnamigen Film des Regisseurs Johannes Schmid erhalten. Dem breiten Publikum ist sie spätestens seit 2008 aus dem Film „Die Welle“ bekannt.

Gerade hat Odine Johne einen Tatort abgedreht, am 4. Mai kommt der Film „5 Frauen“ (Regie Olaf Kraemer) in die Kinos. Dort spielt Odine Johne die Rolle der lebensbejahenden Ginette, die sich zu einem Wochenende mit vier Freundinnen in Südfrankreich trifft. Die anfängliche Harmonie kippt jäh in ein Szenario unterdrückter Spannungen, Eifersüchteleien, versagter Träume und verwandelt sich in einen Thriller mit ungeahnten Abgründen.

Eine wunderbare Gelegenheit sich mit Odine Johne über Träume, Berlin, die verschiedenen Seiten des Schauspielerberufs, den Mut zum Risiko und ihre Fahrradtour durch den Libanon zu unterhalten.

Odine Johne

Was hat Sie bewogen Schauspielerin zu werden und 2006 von Stuttgart nach Berlin zu ziehen?

Ich habe schon seit ich 12 Jahre alt war in Kurzfilmen gespielt und wollte eigentlich später auch Schauspielerin werden, habe mich aber erstmal nicht getraut, das so zu sagen. Nach dem Abitur habe ich dann ein Demoband zusammen geschnitten und beschlossen: Jetzt gehe ich nach Berlin. Am Anfang war das ziemlich hart. Ich kannte niemanden in der Stadt. Ich war ja nicht zum Studieren in Berlin, wo man leicht Leute kennenlernt. 2008 habe ich dann bei dem Dreh für „Die Welle“ eine Freundin kennengelernt, mit der ich zusammengezogen bin und jetzt nach einigen Jahren ist Berlin mein Zuhause geworden. Ja, ich lebe gerne hier. Die Stadt ist bunt, sehr eigen, wie keine andere.

Sie kommen aus einer Künstlerfamilie. Wurden Sie in ihrer Ambition, Schauspielerin zu werden, unterstützt?

Meine Mutter war selber Schauspielerin, mein Vater Oberbeleuchter. Ich habe diese Welt von Anfang an als schön und zugleich hart wahrgenommen. Meine Mutter war am Anfang nicht begeistert davon. Sie hätte gern gehabt, dass ich vielleicht etwas “sinnvolles” mache, so mit Solarenergie (Odine Johne lacht), weil sie mich beschützen wollte. Aber als ich mich dann für den Beruf entschieden habe, war das in Ordnung für meine Mutter und die Gespräche mit ihr sind sehr inspirierend.

Was sind Ihre Lieblingsorte in Berlin?

Meine Wohnung ist mein Rückzugsort. Ich wohne in einem schönen Teil von Neukölln. Dort gibt es die kleinen Arbeiterhäuser und Jugendstilvillen. Es ist sehr still dort, wie in einem Dorf. Das Tempelhofer Feld mag ich auch sehr. Es windet dort wie am Meer und man kann den ganzen Himmel, den Horizont sehen.

Was macht ein schöner Tag für Sie aus?

Es ist ganz einfach. Mit den Menschen, die ich liebe an einem schönen Ort zusammen zu sein. Ein schöner Tag hat für mich, viel mit Natur zu tun. Der Frühling ist eine gute Zeit, wenn man sich einfach und zufällig trifft, ohne Pläne. Ich mag die zufälligen Begegnungen und dann kann man zusammen weiterziehen.

Wie wichtig ist Ihnen, Zeit für sich selbst zu haben?

Ich bin viel unterwegs und wenn ich in Berlin bin, möchte ich gerne meine Freunde sehen. Aber ich brauche es sehr, alleine zu sein. Das ist zwar am Anfang immer etwas merkwürdig, gerade nach Dreharbeiten, aber dann genieße ich es immer wieder. Mir wird nie langweilig. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich zum Beispiel auch gern noch eine andere Sprache lernen.

Der Schauspielerberuf ist ja kein sicherer Beruf. Macht es Sie unruhig, wenn Sie kein Engagement haben?

Ich arbeite zum Glück meistens viel und trotzdem hat sich bei mir nie das Gefühl von Sicherheit eingestellt. Da hat mir auch kein Projekt oder Preis helfen können, mir ein entspanntes Gefühl zu geben. Die Unsicherheit ist ein Teil des Berufes. Damit muss man klarkommen. Wenn ich nicht spiele, mache ich viele andere Sachen, die mich interessieren, so schreibe ich gerade an einem Drehbuch oder habe ein Musikvideo mit Freunden gedreht.

Welche Musik inspiriert sie?

Ich höre sehr oft Musik und stelle mir manchmal Lieder zusammen, die mit einer neuen Rolle zu tun haben. Zum Beispiel habe ich für meine Rolle der Agnes die Pianoversion von Pixies „Where is my mind“ immer wieder gehört. Manchmal höre ich auch am Set Musik um in der Konzentration zu bleiben, während um mich rum Trubel ist und umgebaut wird oder ich warten muss. Ich höre eine breite Auswahl von klassisch über Hip-Hop bis zu Johnny Cash.

Wie gehen Sie mit Kritiken um?

Nach den positiven Kritiken zu dem Film „Agnes“ tat es sehr gut, dass die Arbeit gesehen und gut besprochen wurde. Aber die Zweifel sind trotzdem immer da. Aus der Energie des Zweifels entsteht für mich aber auch ein großer Antrieb. Jedes Mal bei jeder neuen Arbeit habe ich Angst und es gibt den Moment, wo ich springen, muss.

Gab es jemals eine Alternative zur Schauspielerei?

Regie zu führen würde mich irgendwann reizen.

Wie lange darf man an Träume glauben?

Hm. Gute Frage. Bei der Diagnose von psychischen Erkrankungen sagt man, dass viel von dem Leidensdruck abhängt, den ein Mensch empfindet. Danach beurteilt man, ob er krank ist oder nicht. Man kann also guten Gewissens verrückt sein, wenn man selbst und anderen damit nicht schadet. Vielleicht ist das auch so beim Träumen. Wenn der Schmerz beim Träumen so groß ist, dass man das Jetzt nicht mehr genießen kann, wäre man vielleicht glücklicher, wenn man von dem Traum ablässt. Aber solange sich das noch die Waage hält, spricht ja nichts dagegen.

In dem neuen Kinofilm „5 Frauen“ geht es neben verschiedenen Lebensentwürfen und Schicksalen auch um Freundschaft. Wie wichtig sind Ihnen Frauenfreundschaften?

In der Pubertät fand ich Mädchen sehr kompliziert. Ich war sehr lange nur mit Jungs befreundet und war mit meinem Bruder und seinen Freunden unterwegs. Später kamen auch Freundinnen dazu. Aber mit Frauen habe ich ein anderes freundschaftliches Verhältnis. In meiner Familie gab es viele starke Frauen. Meine Mutter hat mich und meinen Bruder zum Beispiel alleine großgezogen. Die Rolle der Ginette, die ich in dem Film „5 Frauen“ gespielt habe, habe ich sehr gemocht. Sie ist eine erfolglose Schauspielerin, ein Freigeist, mit der Angst sich an einen Mann zu binden, lieber im Moment lebend, manchmal wie ein trauriger Clown. Ich glaube Frauen verlieren an Stärke, wenn sie sich zu sehr vereinzeln oder gegeneinander ausspielen.

Odine Johne
Odine Johne

2011 sind Sie mit dem Fahrrad durch den Libanon und Syrien gefahren. Wie kam es dazu?

Ja, ich habe gemeinsam mit zwei Schauspiel- Kommilitonen einen Workshop für Kinder in einem Flüchtlingslager in Palästina gegeben. Wir sind von Italien mit einem Frachtlader nach Syrien gefahren und von dort weiter mit dem Fahrrad. Auf dem Fahrrad ist eine gute Art zu Reisen, man hat das richtige Tempo, ist nicht abgeschottet, das ideale Reisemittel. Beim Fliegen kommt man mit der Entfernung nicht hinterher.

Was haben Sie dort erlebt?

Am meisten hat mich ein Schauspielstudent beeindruckt. Er ist im besetzten palestinensischen Gebiet aufgewachsen und gehörte vor seinem Studium einer terroristischen Widerstandsbewegung an. Dann lernte er einen Theatermacher kennen, der ihm beibrachte Widerstand mithilfe der Kunst, ohne Waffen zu leisten. Dieser Student hatte viele Gründe wütend zu sein und hat aber für sich realisiert, dass Gewalt, nicht sein Weg sein konnte. Theater in Palästina zu machen, war für ihn eine Notwendigkeit. Als ich ihn kennenlernte, musste ich mich fragen, was ist meine zwingende Notwendigkeit, was habe ich zu erzählen.

Lieben Sie das Risiko?

Stillstand beängstigt mich mehr als Veränderungen. Veränderungen bedeuten zwar auch Unsicherheit, aber sie sind eher der Weg etwas Neues zu erfahren. Auch beim Schauspielen ist es immer ein Risiko und die Frage: Kann ich das. Angst ist ein Trampolin hat mir mal jemand gesagt. Sie kann lähmen oder man springt und benutzt die Angst.

Odine Johne
Odine Johne

Haben Sie noch Lampenfieber?

Dauernd. Ich kann kaum schlafen vor dem ersten Drehtag.

Was bedeutet Menschlichkeit für Sie?

Das hat etwas mit Wahrnehmung zu tun. Oft sind wir zu beschäftigt und in Eile, sehen die Anderen nicht. Dadurch entstehen Konflikte. Menschlichkeit hat also wahrscheinlich am meisten mit Empathie zu tun. Gerade als Schauspielerin brauche ich Empathie, um mich in andere Rollen hineinzuversetzen. Ich glaube Unmenschlichkeit entsteht oft aus der Angst, etwas zu verlieren, weniger aus der wirklichen Begegnung heraus.

Vielen Dank Odine Johne! 

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